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[Illustration: Cover image] Nixchen.
Sämtliche Rechte vorbehalten
Nixchen.
Ein Beitrag zur Psychologie der höheren Tochter
von
Hans von Kahlenberg.
Umschlag von Hermann Liebich .
12. 14. Tausend.
Wiener Verlag. Wien 1904.
Maschinensatz von Oscar Brandstetter in Leipzig. 23217
ERSTER BRIEF.
Achim von Wustrow an Herbert Gröndahl, Berlin, Nettelbeckstrasse.
Mein lieber, alter Mephisto!
Ich weiss zwar nicht, wie ich dazu komme an Dich zu schreiben, grade heute in meiner schönen Kirchtags und Osterglockenstimmung; denn eigentlich war ich recht wütend auf Dich, wütend und entrüstet und etwas traurig von unserm letzten Berliner Beisammensein, als Du mir bei frappiertem Sekt und köstlichen Natives so nackt und klipp Deine Ansichten über ein gewisses Thema auseinandersetztest.
Und Du weisst, dass ich in dem Thema nun einmal ein unverbesserlicher, hartgesottener Idealist bin. Denn ich frage Dich, Skeptiker und Realist, was wäre das Leben überhaupt wert, all unsre Arbeit, mein Schuften hier auf der einsamen Klitsche, die Jagd nach Berühmtheit, die Freude an dem, was man in sich hat, an der schönen Gotteswelt draussen, wenn man sich nicht mitteilen könnte, wenn die lieben Frauen nicht wären, die liebe, schöne Aussicht, solch ein liebes, lebendiges, teilnehmendes Wesen sein eigen zu nennen.
Ja, die lieben Frauen! Und Du magst nun sagen was Du willst und Erfahrungen haben so viele Du willst ich bedauere Dich oft darum. Ich behaupte, sie sind das Einzige im Leben, das es für Unsereinen überhaupt erst lebenswert macht. Es giebt Engel unter ihnen, süsse, unschuldige Blumen, tausendmal besser, feiner, klüger wie wir, direkt vom Himmel herunter gesandt, damit man eine Ahnung behalten soll hier unten im Staube, wie's da oben aussah.
Lache nun wie Du willst über den Romantiker, den Thoren, den Parzival! Es ist zu schön, ein Thor zu sein! Und um es kurz zu machen, Du alter, lieber Freund, trotz Deines infernalischen Beigeschmacks, ich bin glücklich, unbeschreiblich, lautjubelnd, stillselig glücklich! Ich liebe.
Da steht es nun. Das Wort kommt mir fast profan vor Dir gegenüber. Weisst Du überhaupt, was Liebe ist, so eine echte erste, gute, frohe und starke Liebe, Du grosser Kenner des menschlichen Herzens, vereidigter Sachverständiger in Liebesangelegenheiten, unvergleichlicher Vivisektor der Gefühle? Du weisst sehr viel, viel mehr als Dein armer Krautjunker und dörflicher Pylades, aber das weisst Du doch nicht.
Und wie kannst Du es wissen? Du Grossstadtmensch, der sich immer zwischen Häuserreihen und elektrischen Lampen umhergetrieben hat, berühmt mit sechsundzwanzig, vergötterter Boudoirheld, dem die Königinnen des Salons zu Füssen lagen, diese Frauen, die Du kennst, die Du schilderst wie Keiner, Tigerinnen mit Madonnengelüsten, sentimentale Messalinen, Prostituierte des Herzens und der Phantasie, die für mich schlechter sind, als Strassendirnen, die ehrliche, schmutzige Gemeinheit ohne Eau de Lys und präraffaelitischen Faltenwurf.
Weisst Du, wenn ich so ein Buch gelesen habe in seinem grünen, glatten Eidechseneinband mit hochmodernen Winkeln und Schnörkeln und den beunruhigenden Halbfrauen und Sphynxemblemen, hier in meiner alten, verräucherten Bude mit den Hirschgeweihen und den alten Preussenkönigen und ihren alten, strammen Soldaten darunter, dann möcht' ich es gerade an die Wand werfen und hinausstürmen. Freie Luft! Bäume! Erdgeruch! Hier ist doch noch Natur, Wahrheit, Keuschheit!
Und doch ist auch sie keine Landblüte, nicht im Walde erschlossen beim Quellenrauschen, eine Grossstadtblume, blaue Wunderblume über dem Sumpf und dem Steinmeer... Continue reading book >>