JAPANISCHER FRÜHLING NACHDICHTUNGEN JAPANISCHER LYRIK HANS BETHGE DIE SEELE JAPANS WOMIT VERGLEICH ICH JAPANS SEELE WOHL AM TREFFENDSTEN? MIT DEM GEHEIMEN DUFT DER KIRSCHENBLÜTE. WENN DIE GOLDNE SONNE DES MORGENS SIEGHAFT AUS DER DÄMMRUNG STEIGT MOTOORI NORINAGA DIE SCHÖNE NUNA-KAWA-HIME SPRICHT ZUM GOTT DER ACHTMALTAUSEND SPEERE AUS ARCHAISCHER ZEIT Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, In rabenschwarzer Nacht komm ich heraus, Und du wirst nahen wie die Morgenröte, Mit Lächeln und mit strahlendem Gesicht. Und deine Arme, die so schimmernd weiss Wie Taku-Rinde glänzen, wirst du zärtlich Auf meinen Busen legen, der dem Schnee An Zartheit gleicht. Und eng verschlungen werden Wir liegen und uns kosen und die Arme Als Kissen unters Haupt uns betten, während Die Schenkel nahe beieinander ruhn. Sprich mir von Liebessehnsucht nicht zu sehr, Du grosser Gott der achtmaltausend Speere! Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand, Komm ich heraus. DIE WARTENDE KAISERIN IWA NO HIME Bis dass der weisse Reif des Alters sich Auf meine rabenschwarzen Haare legt. Will ich mein ganzes langes Leben durch Nichts weiter tun als warten, warten, warten Auf dich, den meine ganze Seele liebt. LIEBESWERBUNG KAISER YURYAKU Du schönes, schlankes Mädchen mit dem Korbe, Du schönes, schlankes Mädchen mit dem Spaten, Das dort am Hügel emsig Kräuter pflückt! Sag mir, wo ragt dein Haus, ich bitte dich, Und nenne deinen Namen mir! Im ganzen, Vom Himmel treu geliebten Lande Japan. Bin ich der Herrscher! Und mein Herz wünschtinnig. Dich als Gemahlin heimzuführen, Holde! Ich bitte dich, wer bist du,--sag es mir! DER GLÜCKLICHE MUNETO Ihr sagt, dass ich ein Wilder sei. Nun gut. Ich bin den Vögeln im Gebüsch befreundet Und kenne alle Bäume. Und die Blumen. Auf bunter Bergflur blühen nur für mich, Und das Geraun des Waldes kündet mir Geheimnisvoll die Wunder der Natur. Ja, ich bin reich! Dich neid ich nimmermehr, Geschmeidiger Hofmann in dem seidnen Kleide, Denn du hast nichts, was meinem Glücke gleicht. IN ERWARTUNG PRINZESSIN NUKADA Ich wartete auf dich, von Sehnsucht fast Verzehrt,--da, ein Geräusch: du nahst! du nahst! Zu früh gejubelt, sehnsuchtsbanges Herz! Es war der trügerische Wind des Herbstes, Der raschelnd durch den Bambusvorhang fuhr. DAS ELEND DER WELT OKURA Die Welt ist elend, jammervoll Und nimmer wert, dass wir sie lieben. O weh, dass ich kein Vogel bin! Ich wünschte, dass ich Flügel hätte, Um ihr für immer zu entfliehn. EINSAM HITOMARO Trostlos, allein zu schlafen diese Nacht, Die endlos lang ist, wie der lange Schweif Des Goldfasanen, dessen helle Stimme Ich von dem Berg herüberklingen höre. DIE GELIEBTE IM SEGELBOOT HITOMARO Rings um die Küste braut der Morgennebel Und hüllt in graue Dämmerung Land und Meer. Mit neidischem Sinn verbirgt er meinen Augen Das Segelboot, nach dem mein Herz sich sehnt. Voll unruhvollen Klopfens: denn ich weiss, Dass meine Liebste darin kommen wird. KRIEGSZUG HITOMARO Da tat der Held das Schwert um seinen Leib Und nahm den Bogen in die feste Hand Und schritt dem Heer des Kaisers stolz voran. Und alle Trommeln fingen an zu dröhnen Wie Donnergroll, und die Drommeten klangen, Dass man erschrak wie vor des Tigers Schrei. Und hoch wie Feuerzungen flatterten Die Fahnen,--ja, wie Feuer auf dem Felde In Frühlingsnächten, von dem Wind entfacht, So lohten flammend sie zum Himmel auf. Und in der Hand der Krieger schwirrten jetzt So fürchterlich die Bogen, dass man glaubte, Ein grimmer Sturmwind jage mit Gebrüll Durch den verschneiten winterlichen Wald; Und so wie wilder Schneefall in der Luft Sich ineinander schüttet,--also schwirrten Die Pfeile durcheinander, dicht an dicht. TRÜBES LIED OZI Die Blüten rieseln nieder. Dichter Nebel Verbirgt den See. Die wilden Gänse rufen Erschreckt am heiligen Teich von Iware. Düstere Träume schatten um mein Haupt. Mein Herz ist schwer. Wenn übers Jahr die Gänse Von neuem rufen, hör ich sie nicht mehr. AN DEN SCHNEE KAISER MOMMU Die Wolken sind von Flocken ganz erfüllt, Der Wald scheint voll von weissen Weidenkätzchen, Das ganze Firmament ist schimmernd hell, Vom Wind getrieben weht der Schnee am Flusse,-- Wenn ich die weissbedeckten Pflaumenbäume In meinem Garten sehe, möcht ich glauben, Sie blühten schon vom Frühling ganz und gar. DER FUJI-YAMA AKAHITO Zum Himmel schauend, sehe ich den Gipfel Des Fuji-Yama gross und feierlich Ins Ewige schimmern; also ragt er schon Seit jenen Zeiten, da die Erde sich Vom Himmel schied; blick ich zu ihm empor, So ist mir, dass der Glanz der Sonne sich Verdunkelt, und der milde Schein des Mondes Verschwindet ganz; die weissen Wolken aber Tragen Bedenken, über seinen Gipfel Dahinzuschweben, und es sinkt der Schnee Mit stiller Ehrfurcht sanft auf ihn hinab. O Fuji-Yama, deine Herrlichkeit Wird man noch preisen in den fernsten Tagen; Bis zu der Dichter spätesten Geschlechtern Wird deines Ruhmes Glanz nicht untergehn. BETRACHTUNG AKAHITO Wenn stets der Kirschenbaum so wundervoll Wie jetzt auf allen Höhen blühen würde, Wir liebten seine schneeige Schönheit dann Nicht so wie jetzt, da nur den Lenz sie ziert. DIE TRAUERWEIDE MUSHIMARO Die Trauerweide auf dem Grab des Mädchens Lässt ihre Zweige nur nach einer Seite Hinüberhangen. Eines Jünglings Hügel Erhebt sich dort. Wer möchte nun noch zweifeln, Wem jenes toten Mädchens Liebe galt? DER MOND EDELDAME ISHIKAWA Seht, wie er sieghaft durch die Wolken bricht! Sein wunderbarer Glanz flicht Silbernetze, Die über Land und Meer sich schimmernd breiten, Auch über meinen Strand, wo nun die Steinchen Des Sandes klar wie Diamanten schimmern. FRÜHLINGS ENDE KIBINO Der Wind trieb alle Blütenblätter von Den Zweigen weg. Der Frühling, der schon lange Kränklich und blass war, ist geschwunden. Nur Der süsse Duft der Pflaumenblüte blieb Am Ärmel meines seidenen Gewandes Gleich einem schönen, müden Traum zurück. FRÜHLINGS ENDE OKISHIMA Im Bambushaine meines Gartens hör ich Die Nachtigall mit müder Stimme klagen,-- Sie trauert, weil die weissen Pflaumenblüten In Scharen von den Bäumen niederfallen, Weil nun der Lenz mit seinen Wundern flieht. IN DER FREMDE YAKAMOCHI Verbannt von meinem Kaiser, leb ich nun Fünf Jahre schon in fremdem, wildem Lande, Entbehrend deinen Anblick, süsses Weib. Nie darf ich mehr zur Nacht mein müdes Haupt Auf deinem lieben, weichen Arme betten; Hör, was ich tat in meiner Einsamkeit: Ich säte Nelken aus in meinem Garten; Wenn sie in Blüte stehn, so denk ich immer An dich, die meine schönste Nelke war. Dies ist der einzige Trost, geliebtes Weib, In meiner öden Fremde. Ohne ihn Würf ich mein Leben unbedenklich ab. HEIMWEH YAKAMOCHI Wenn sich der Abend niedersenkt und Nebel Eintönig wallen übers graue Meer, Und wenn die Kraniche mit müder Stimme Ins Dunkel rufen, traurig anzuhören,-- Dann denk ich meiner Heimat, schmerzdurchweht. DER BLÜTENZWEIG FUJIWARA NO HIROTSUGU Nimm diesen Blütenzweig! In jedem Blatte Der zarten Blüten schlummert hundertfach Ein Liebeswort aus unruhvoller Brust. O weise meine Liebe nicht zurück! DER FREUND DES WEINES TABITO Wenn ich nicht wäre, was ich bin: ein Mensch,-- Ich möchte eine Reisweinflasche sein, Um recht nach Herzenslust in meinen Hals Den edeln Saft zu saugen, den ich liebe. AM UFER UNBEKANNTER DICHTER Von jenem Ufer winkt mir die Geliebte, Hier stehe ich, mit ruhelosem Sinn, Das Herz erfüllt von ungestümer Sehnsucht, Und seufze, seufze endlos. Hätt ich doch Ein rotlackiertes Schifflein jetzt zur Hand Und auch ein Ruder, voller Kunst besetzt Mit Edelsteinen,--hurtig wie der Wind Lenkt ich hinüber, um mit ihr zu plaudern, Und schmiegte glücklich mich an ihre Brust! BITTE AN DEN HUND UNBEKANNTE DICHTERIN Wenn mein Geliebter in der Nacht Den Binsenzaun durchbricht und leise Zu mir hereinsteigt,--Hund, ich rate Dir ernstlich: hülle dich in Schweigen, Verrate ihn den Leuten nicht,-- Es soll dir gut gehn, lieber Hund! DER TEICH UNBEKANNTER DICHTER Dir, Teich von Miminaschi, gilt mein Hass, Denn meine Liebste hat verzweifelnd sich In dich gestürzt und ist in dir ertrunken. Warum bist du nicht schnell vertrocknet, als Die Holde kam, in dir den Tod zu finden? Ich hasse dich, erbarmungsloser Teich! TRENNUNG UNBEKANNTER DICHTER Trotz aller Hindernisse, Die dem eilenden Flusse Entgegentreten: Alle Wasser, die sich trennen, Um Bänke und Riffe herum, Strömen doch endlich. Endlich wieder Jubelnd zusammen! VERTRAUEN UNBEKANNTE DICHTERIN Die Mutter hat aufs strengste mir verboten, An deiner Brust zu schlafen, mein Geliebter, Obwohl mir das Orakel klar verhiess, Dass ich dereinst die Deine werden soll. So lauter wie das nie getrübte Wasser Des Teiches von Kiyosmi ist mein Herz Und ist so tief auch wie der Grund des Teiches, Und immer wird es deiner treu gedenken Und wird vertrauend harren in Geduld, Bis dass ich ganz mit dir vereinigt bin. ÜBER DIE HEIDE UNBEKANNTER DICHTER Was für ein Mensch ist das, um dessentwillen Du, schöne Frau, mit Mühe und voll Sehnsucht Die Heide von Miyake überquerst? Beschwerlich ists, durch das Gestrüpp zu wandern. Qualvoll ist dieser Gang für Frauenlenden, Weh, wenn dich deine Eltern sähen, Kind! So zart wie weisses Linnen glänzt dein Antlitz, Dein langes Haar ist dunkel wie das Innre Der Mina-Muscheln, die das Meer ausspeit. Ein Kamm aus Buchsbaum steckt in deinen Haaren. Wem eilst du zu? Wer bist du, holdes Wesen? O Götterlust, mein Weib eilt zu mir her. Da sie die Sehnsucht nicht ertragen kann! BANGNIS UNBEKANNTE DICHTERIN Ich lehne mich an deine Brust, Geliebter, Und das Vertrauen, das ich in dich setze, Ist so, als ob ich einem grossen Schiff Mich anvertraute. Lang und immer länger Denk ich an dich, so wie die Efeuranken Hinkriechen an der Mauer, lang und länger. O wären wir vor Unheil stets bewahrt! Ich schlinge meinen Ärmel um die Schultern Und stelle fromme Weihgefässe auf Und flehe zu den Göttern, die im Himmel Und auf der Erde walten, dass sie dir Und mir und unsrer Liebe gnädig seien! DIE SCHÖNE KURTISANE UNBEKANNTER DICHTER O liebliche Tamana, lächelnde Verführerin, die Schlankheit deiner Lenden Ist dem geschmeidigen Leib der Biene gleich. Dein Busen ist von edler Form, du stehst Wie eine Blume da, du hast ein Lächeln, Dass alle Leute, die vorübergehn, Die Schritte hemmen. Ungerufen naht sich Die Schar der Männer, steht vor deinem Tore, Von dir berauscht und voll Begehr nach dir. Im Hause, das dem deinen nahe liegt, Macht sich der Gatte von der Gattin frei Und steckt dir zu den Schlüssel seiner Türe. Vernarrt in dich ist alles. Du verstehst es, Die Herzen zu gewinnen durch ein Lächeln, Und Üppigkeit und Wollust sind dein Teil. QUALVOLLE EIFERSUCHT UNBEKANNTE DICHTERIN Ich habe heut den ganzen langen Tag, Seitdem die Sonne überm Horizont Heraufkam, und die ganze lange Nacht, In der ich schlaflos in das Dunkel starrte, Getobt vor Jammer und geweint vor Wut! Denn du, ich weiss es, hast in einer Hütte (Ich möchte sie den Flammen übergeben!) Auf alten, schlechten, strohgeflochtnen Matten (Die wert sind auf dem Kehricht zu vermodern!) Die plumpen Wangen einer Bauerndirne Gestreichelt und geküsst, und hast in Liebe Bei ihr geweilt die ganze lange Nacht! VERGEBENES BEMÜHEN UNBEKANNTER DICHTER Dass wir uns lieben, hab ich abgestritten, Mit heftigen Worten hab ich es geleugnet, Ich habe mich so angestrengt mit Leugnen, Wie man sich anstrengt, wenn man einen Lastkahn Am Kap des leuchtenden Naniwa-Hafens Mit einem Seile mühevoll dahinzieht,-- Und dennoch bin ich, nichts hat mir genützt, In das Gerede aller Welt gekommen! WUNSCH UNBEKANNTER DICHTER Nicht wertvoll scheint das Leben mir; jedoch Da ich so sehr dich liebe, wünsch ich wohl, Dass ich noch lange, lange leben möge, Um lang noch meine Liebe zu geniessen. DIE TRÄUME FRAU KOMACHI Seit ich im Traum den Mann seh, den ich liebe,-- Seit jener Zeit erst liebe ich der Träume Buntfarbene Falter als das köstlichste Geschenk der Nacht, das ich nicht missen möchte. EINSAM FRAU KOMACHI Der Blüten holde Schönheit ist entwichen, Der rauhe Regen hat sie ganz zerstört, Indessen ich, zwecklos in diesem Dasein, Einsam den Blick ins Leere schweifen liess. DAS LOTUSBLATT HENJO Ganz ohne Makel, weiss und leuchtend, blüht Das Lotusblatt. Es scheint ganz ohne Trug-- Und dennoch lügt es: denn das eitle will Uns glauben machen, dass im edeln Schmucke Von Diamanten es erstrahle,--und Es sind doch Tropfen Taus nur, die es zieren! FAMILIENSTOLZ HENJO Die Meinen sind so stolz, dass sie verlangen: Der Name, den wir tragen, solle immer So völlig unverfälscht sein wie die dunkle, Von künstlichen Essenzen nicht berührte Nachtfarbe meines ungekämmten Haars. SCHWERMUT PRINZ NARIHIRA Wenn nie die Blüten auf den Kirschenbäumen Erstünden, brauchte unser Herz auch nie Zu klagen, wenn die holden Blüten sterben. Dir gilt mein Hass, o Mond. Denn viele Monde, Die sich allmählich aneinanderfügen, Berauben mich der Wonnen meiner Jugend. Ich weine meine Ärmel feucht bei Nacht, Sie werden feuchter als vom Tau des Herbstes, Denn du bist fern, der meine Sehnsucht gilt. TAGELIED EINES MÄDCHENS PRINZ NARIHIRA Nimm dich in acht, o Hahn, der krähend von Der Liebe Bett uns aufscheucht! Wenn der Tag Erschienen ist, so schleudr ich in den Rachen Des Fuchses dich, damit er dich vertilgt. Der du den Liebsten mir so schnell, so schnell Entführst durch dein abscheuliches Geschrei! LIEBESKUMMER PRINZ NARIHIRA Da ich am Morgen durch die Büsche ging Des taubenetzten, herbstlichen Gefildes, Nässt ich den Ärmel mir. Doch ganz durchfeuchtet Ward er erst nachts von meinen vielen Tränen, Da jene mich allein liess, die ich liebe. SEHNSUCHT NACH DER NACHTIGALL TOMONORI Ich will den Frühlingswind, o Nachtigall, Mit weichen Blumendüften zu dir senden, Damit sie dir den Weg herüberweisen In unsre Flur,--wir warten schon so lang! DAUER IM WECHSEL TOMONORI Der Kirschbaum stand in Blüten. Schwarz und jung Fiel mir das Haar vom Haupt, indes ich tanzte. Der Kirschbaum stand in Blüten. Frisch und jung Erglänzten sie,--mein Haar war grau geworden. Heut wieder blüht der Kirschbaum. Himmlisch jung Wie immer lächeln seine Blüten nieder,-- Mein Haar ward weiss, ich stehe sinnend da. GLEICHE SEHNSUCHT TOMONORI Der Abend kommt herab. Nun wandr ich an Den Sao-Fluss, im Windhauch seines Ufers Die Freundin zu erwarten. Was erklingt Im Dunkel so voll Sehnsucht? Horch, das ist Der einsam-schwermutvolle Ruf der Möwe, Die sich nach der Gefährtin sehnt, wie ich. DIE WILDGANS OCHI Vorüber ist die böse Winternacht. Der Lenz zog ein. Dort durch die Silberwolken Breitet die Wildgans kreischend ihre Flügel. Sie strebt nach Norden, wo seit Monden schon Das Mädchen weilt, nach dem mein Herz sich sehnt. O Wildgans, nimm mich mit auf deinen Flügeln! FRÜHLINGSREGEN OTOMO KURONUSHI Sie weinen alle, da die Kirschenblüten Zur Erde rieseln. Dieses fällt mir ein: Ob wohl der Regen, der im Frühling fällt, Die Tränenflut der trauernden Menschen ist? BETRACHTUNG FRAU ISE Am Ufer von Naniwas Seebucht seh ich Rohr Mit kleinen Spannen schwanken in dem feinen Windhauch. Gelehnt an deine liebe Schulter, muss ich denken, Ob ich wohl leben könnte, wenn mich das Geschick. Die allerkleinste Spanne Zeit von dir entfernt Zu weilen zwänge, mein zu sehr Geliebter! TRÜBSINN MITSUNE Du flohest in die Berge, voller Hass Gegen die Welt. Wenn in den Bergen nun Dich auch der dunkle Trübsinn überfällt,-- Wohin dann willst du weiter fliehn, o Freund? HEUTE! MITSUNE Bald wird der Sturmwind durch die Fluren heulen Und Laub und Früchte von den Bäumen schütteln Und Blüten knicken, wo er immer weht. Drum, willst du Blüten pflücken,--tu es heute! Vielleicht, vielleicht ists morgen schon zu spät. AN EINEN FREUND MITSUNE Du kommst nur, um die Blumen blühn zu sehen Bei meinem Hause. Sind sie erst verwelkt, So weiss ich wohl, dass ich mich Tag für Tag Umsonst nach deinem Kommen sehnen werde. ERINNERUNG TADAMINE Da ich von ihr auf ewig schied, stand fühllos Und blass der Mond am Morgenhimmel da. Nichts quält mich schrecklicher seit jenem Morgen, Als wenn ich in der Frühe, müd erwacht, Den Mond in fahler Dämmerung hängen seh. FROMMER WUNSCH TADAMINE Ich wünschte wohl, dass ich in Mondschein mich Verwandeln könnte. Endlich würde dann Das Mädchen, das ich so voll Inbrunst liebe. Mit schmachtendem Gefühle mich betrachten, Während es jetzt nur grausam zu mir ist. HALTLOS TADAMINE So wie die Wasserlinsen auf dem Fluss Ganz wurzellos und ohne jeden Halt Hierhin und dahin ziehn: so treib auch ich Haltlos umher im Strome meiner Liebe. DAS KLAGENDE HERZ FUKAYOBU Vergleichbar einer Wildgans ist mein Herz, Das krank von Sehnsucht dir entgegenschlägt. Es irrt umher und klagt voll banger Unruh, So wie die Wildgans in dem Meer der Luft. DIE ALLERERSTEN BLÜTEN MASAZUMI Froh sprudeln durch die Ritzen nun des Eises, Das vor dem Lenz zergeht, die weissen Wellen Des Giessbachs auf: die ersten weissen Blüten Des lieben Frühlings möchten sie uns sein. DAUERNDE ERINNERUNG KI NO ARITOMO Ich wünsche ein Gewand mir von der Farbe Der Kirschenblüten. Wenn die Blüten dann Schon lang verwelkt sind, werd ich immer doch Durch mein Gewand an ihre Lust gemahnt. JUBEL TSURAYUKI Was seh ich Helles dort? Aus allen Gründen Zwischen den Bergen quellen weisse Wolken Verlockend auf,--die Kirschen sind erblüht! Der Frühling ist gekommen, wunderbar! BLÜTEN UND HERZEN TSURAYUKI Ihr meint, zu balde weht die Kirschenblüte Im Wind dahin? Ach, flüchtiger ist manches. Verändert sich das Herz des Menschen nicht Oft schneller, als ein Windhauch sich erhebt? SCHNEE IM FRÜHLING TSURAYUKI Der Frühling naht mit seinem Dunst. Die Bäume Setzen schon Knospen an. Doch von dem Himmel Fällt Schnee auf Schnee, als wollt er nimmer enden. Wie sonderbar,--nun sinken Blüten nieder, Obwohl der Lenz noch keine Blüten schuf. BLÜTENSCHNEE TSURAYUKI Leis senkt sich Schnee auf uns herab, und dennoch Weht lauer Windhauch zart an unsre Stirnen. Geschah ein Wunder denn? O welch ein Schnee, Des Heimat nie der Himmel war! Es ist ja Der holde, duftgeborene Frühlingsschnee Der Kirschenblüten! SEITDEM ICH DICH LIEBE ATSUTADA Seitdem ich dich liebe, Vergleiche ich meine Gefühle Und meine kühnen Gedanken Mit jenen, die ich früher hegte. Und ich erkenne, Dass ich früher Ganz gedankenlos Und, ach, ganz fühllos war. GESTEIGERTE SEHNSUCHT ATSUTADA Sehr gross war meine Sehnsucht, eh ich zur Geliebten kam. Doch jetzt, da ich bei ihr Glückselige Zeit verbringen durfte, bin ich Wohl ganz beschwichtigt und gestillt? O nein! Viel mächtiger ist meine Sehnsucht nun, Viel ungebändigter als je zuvor! ANKUNFT DES FRÜHLINGS UNBEKANNTER DICHTER Noch glänzt der Schnee hernieder von den Bergen, Doch regt sich schon der Frühling in dem Tal. Die Tränen, die die Nachtigall geweint hat. Und die zu Eis gefroren waren, tauen Allmählich auf. Im holden Duft der Tage Erklingt nun bald das Lied der Frühlingsbraut. Der Nebel, der noch um die Büsche schleift. Ist nur ein leichtes, schmächtiges Gewebe,-- Ein Windhauch durch die Flur--und er zerstiebt. Wie herrlich glänzt die Weide schon am Bach! Auf ihrem dünnen, wallenden Gezweige Reiht sich der Tau zu silbernen Perlen auf. Und gar der Pflaumenbaum! Er steht schon prunkend Im Kleide seiner weissen Blüten da, Verklärend jedes Auge, das ihn schaut. Welch holdes Wesen war es, das ihn leise Gestreift hat mit dem seidnen Saum des Ärmels, Da es versonnen ihm vorüberging? LIEBE UNBEKANNTER DICHTER Die Liebe rast durch meine Brust, So wie durch weite, dunkle Wälder Ein Berggewässer unterm Laub Der ungeheuren Bäume rast. Die Fichte trotzt auf Felsenhöhen Fast ohne Nahrung Wind und Wetter. Die Liebe braucht noch weniger Reichtum, Um froh zu trotzen aller Welt! DAS ALTER UNBEKANNTER DICHTER Wenn ich erführe, dass das Alter mich Besuchen wollte,--flugs schlöss' ich die Tür, Und "Ich bin nicht zu Hause!" würd ich rufen, Und nimmermehr liess ichs zu mir herein. LIEBEN UND STERBEN UNBEKANNTER DICHTER Wer hat der Liebe denn den Namen "Liebe" Dereinst gegeben? Viel bezeichnender Hätt er den Namen "Sterben" ihr verliehn, Denn Lieben, das ist Sterben,--wahrlich, wahrlich! DAS MÄDCHEN AUF DER BRÜCKE UNBEKANNTER DICHTER Das rauschende Gewässer Katashiwas Ist überwölbt von einer schönen Brücke, Der purpurroter Lack zum Schmuck gereicht. Ein zartes Mädchen wandelt unbegleitet Mit kleinen Füssen trippelnd drüber hin; Ein blaues Kleid mit rotem Rande schmiegt sich An ihre feinen Hüften wohlig an. O wüsste ich, ob ihre Hand noch frei ist, Ob nicht ein andrer schon dies Herz gewann! Schnell sagt mir, wo sie wohnt! Ich wills versuchen, Ob ich sie noch für mich gewinnen kann! LIEBESQUALEN UNBEKANNTER DICHTER Die Ärmel meines Kleides sind durchfeuchtet Von vielen Tränen. Allen, die mich fragen, Sag ich, dass es vom Frühlingsregen sei. Ich meinte immer, dass das Kraut Vergessen Auf Beeten wachse. Nun hab ich erfahren, Dass es in liebelosen Herzen blüht. Unsinnig ist es, Worte hinzuschreiben In fliessendes Gewässer. Doch der Gipfel Des Wahnsinns ist es: seine Liebesträume. Zu widmen einer Frau, die fühllos ist. HERBST UNBEKANNTER DICHTER Die Gräser und die Bäume und die Blumen Veränderten die Farben ganz und gar,-- Nur an des grossen Meeres Wellenblumen, Den immer gleichen, kannst du nicht erkennen, Dass nun der bunte Herbst gekommen ist. SCHATTEN UNBEKANNTER DICHTER Ich bin vor lauter Sehnsucht abgemagert Gleich einem Schatten. Könnt ich wenigstens Ersetzen nun den Schatten der Geliebten, Dass ich zu ihren Füssen weilen dürfte! Jedoch auch dieser Dienst bleibt mir versagt. SCHNEE UNBEKANNTER DICHTER Wenn so wie dort der Schnee gewaltig anwächst, Sich auch die öden Nächte mehren würden, Da du mir fern bist,--o ich wünschte wohl, Dass mich das Dasein länger nicht bedrücke, Dass ich so bald hinschwände wie der Schnee. IMMER WIEDER UNBEKANNTER DICHTER Ich weiss es: alle Mühe ist umsonst, Dir zu begegnen. Dennoch, immer wieder. Geh ich hinaus und hoffe dich zu finden,-- Wie könnt ich ruhn, da ich voll Sehnsucht bin! SCHLAFLOS UNBEKANNTER DICHTER In schlafgemiedner Nacht hör ich die Rufe Des Kuckucks aus den Bergen klingen. Ach, Bist du von Liebesschmerzen auch geplagt, Dass du nicht schlafen kannst, o ferner Vogel? UNERWIDERTE LIEBE UNBEKANNTER DICHTER Ich wünschte, dass es möglich sei, die Herzen Der Menschen zu vertauschen. Dann, o Freund, Nachdem mein armes Herz du eingetauscht. Würdest auch du einmal begreifen lernen, Wie Liebe quält, die nicht erwidert wird. SEHNSÜCHTIGER GEDANKE UNBEKANNTER DICHTER Wenn du zur Blüte sprächest: Welke nicht, Bleib an dem Zweige haften, den du zierst,-- Und es geschähe wirklich, was du wünschest,-- Gäb es wohl Holderes in dieser Welt? DER DUFTENDE ÄRMEL UNBEKANNTER DICHTER Mein Ärmel duftet köstlich, da ich Blüten Vom Pflaumenbaume pflückte. Dicht bei mir Hebt plötzlich eine Nachtigall melodisch Zu singen an, vom Duft herbeigelockt: Die Holde meint, hier sei ein Baum erblüht. DAS KOPFKISSEN KANEMORI O Fürst, Ihr bietet Euren Arm mir an Als Kissen für die Nacht? Ich wag es nicht,-- Denn sicher: Eure Liebe wär verrauscht, Bevor die Nacht noch in den Tag verrinnt; Ich aber, recht entflammt erst, würde nimmer Vor Liebesschmerz und Sehnsucht meine Ruhe Zurückgewinnen,--darum quält mich nicht. HEIMLICHE LIEBE KANEMORI Obgleich ich mir die grösste Mühe gebe, Mein leidenschaftlich Fühlen zu verbergen, Ist doch mein Angesicht so sehr verwandelt, Dass jeder, den ich treffe, mich mit Schrecken Befragt, welch eine Krankheit in mir wühle, Da ich so ganz und gar verändert sei. BEI BETRACHTUNG DES MONDES UNBEKANNTE KURTISANE Sehr weit von dir entfernt, betracht ich mit Verliebtem Auge den gestirnten Himmel. O! wenn der Mond sich jetzt in einen Spiegel Verwandeln würde, mir dein Bild zu zeigen! Doch er bleibt Mond und lacht nur meiner Qual. UNMÖGLICHKEIT OKI KASSI Wie könnt ich deine wundervolle Schönheit, Die allzu spröde, die ich ohne Hoffnung Anbete, aus dem wirren Sinn mir reissen, Da sie mir jede Nacht im Traum erscheint, Um mir zu sagen, dass ich hoffen solle! SCHWERMUT TERANGE Ich armer Tropf! Ein anderer besitzt Das Herz des schönen Mädchens, das ich liebe. Mir kommt die Trauerweide in den Sinn Am Rande meines Gartens. Mir gehört. Die Weide zwar, doch ihre Zweige schmücken Des Nachbars Garten und den meinen nicht. VERZWEIFLUNG SIGEYUKI So wie die Woge Im Sturmwind Am felsigen Ufer zerbricht,-- So zerschellt meine Liebe An deines Hochmuts Trotzigen Felsen, Kalte Geliebte. DIE VERLASSENE UNBEKANNTE DICHTERIN Freund, ahnst du nicht, Wie unendlich traurig und lang Die Nacht ist, vom Abend her Bis zur schimmernden Morgenröte, Wenn ich einsam, einsam, einsam Seufzend daliege Auf meiner tränenbefeuchteten Binsenmatte? Ahnst du das nicht? NOCH EINMAL FRAU IZUMI SHIKIBU Noch einmal lass mich, o Geliebter, Bevor ich diese Welt verlasse, Dein liebes Antlitz wiedersehen, Dass ich es tief in meine Seele Einpräge und es mit mir nehme Ins dunkle Land der Ewigkeit. DIESELBE NACHT FRAU INNO BETTO Wie kommt es, Dass ein und dieselbe durchwachte Nacht Deinem Herzen die Ruhe gab. Während sie mich Für den Rest meines Lebens Mit ganz wahnsinniger Liebe erfüllt hat? ERREGUNG FRAU HORIKAWA O Gott, ob er mir treu bleibt? Himmel! Himmel! Ich weiss es nicht; ich weiss nur, dass mein Hirn, Seitdem das Morgenrot ihn von mir riss, So ganz verwirrt ist wie mein dunkles Haar, Das seine Wildheit mir so wirr gemacht. JAMMER DER ERDE FUJIWARA NO TOSHINARI Auf dieser Erde ward kein Weg gebahnt, Dem Kummer und dem Elend zu entfliehn. Selbst wenn ich in die tiefen Berge streife, Wohin mich eine alte Sehnsucht zieht, Tönt das Geschrei der abendlichen Hirsche Wehklagend melancholisch an mein Ohr. GEDANKEN SAIGYO So wie der Rauch des Fuji-Yama blass Und ziellos in die windigen Lüfte steigt. Um dann zu sterben an dem weiten Himmel: So steigen die Gedanken, die ich hege, Ziellos und zwecklos und auf flüchtigen Pfaden Ins Blau hinein und schwinden spurlos hin. SCHWERMUT SAIGYO Und wer in seinem Herzen noch so sehr Verhärtet ist: ein Weh durchschauert ihn, Und Schwermut senkt sich tief in sein Gemüt, Wenn er zur Dämmrung aus den sumpfigen Wiesen Die Schnepfen in den Abend steigen sieht. VOM MOND SAIGYO Vom Mond soll ich in Versen zu euch reden? O zwecklos. Denn wer könnte das begreifen, Was mich erfüllt, was mich im Innersten Bewegt und in mir aufblüht tief und dunkel. Wenn sich mein Herz in unruhvollen Nächten Zu dir emporhebt, o geliebter Mond? ABSCHIED VON DEN BLÜTEN SAIGYO So innig hab ich mit den holden Blüten Des Frühlings mich befreundet, dass mir scheint, Wir seien eins geworden, sie und ich. Da sie nun welken, von der Zeit bezwungen. Und traurig hingehn, mich alleine lassend. Füllt sich mein Herz mit namenlosem Jammer, Und schluchzend nehm ich Abschied, fassungslos. BLÜTEN SAIGYO Wie kommt es, dass die Blüten nimmermehr Aufhören, meine Seele zu entzücken? Ich habe längst mich von der ganzen Welt Zurückgezogen; alles ist mir gleich.-- Wie aber kommt es, dass ich ganz beglückt Beim Anblick einer schönen Blüte bin? DAS ALTER KIUTSUNE Einst lagen volle Blumen, wie der Schnee so weiss. Auf meinem schwarzen Haar; sie leuchteten Und waren köstlich, doch der Sturm hat sie verweht. Die weissen Blüten, die das Haupt mir heute zieren, Sind nicht von jenen, die der Wind verweht. Des Alters Blumen sind erblüht in meinem Haar. STEUERLOS SONE NO YOSHITAKA So wie der Schiffer, der sein Steuerruder Verlor auf wilder See, nun der Gewalt Der Elemente preisgegeben hintreibt: So fühl ich meine Liebe steuerlos Hintreiben auf dem Meere des Gefühls. AN DIE KIRSCHENBLÜTEN SAKINO DAISOJO GYOSON Duftige Kirschenblüten! Liebliche Mitwisser meiner Qual! Zeigt doch ein wenig Mitleid mit diesem Herzen,--denn nur ihr Kennt ja mein grosses Weh; den andern allen Muss ichs verschweigen, dass ich elend bin. AN DIE WILDGÄNSE PRINZ MUNENAGA Eilt nicht so sehr, Wildgänse dort am Himmel, In eure alte Heimat heimzukehren,-- Wisst ihr denn nicht, dass eurer Heimat Berge Euch längst vergassen, da ihr ferne wart? LIEBESBRIEF UNBEKANNTE DICHTERIN Gross ist mein Wunsch, dein Angesicht zu schauen. Und gross ist meine Lust, mit dir zu plaudern,-- Doch muss ich solcher Freuden mich enthalten. Denn wenn durch Zufall einer von den Meinen Oder auch einer von den Nachbarn nur Erführe, dass wir beieinander waren, Ich würde Qualen leiden wegen des Geschwätzes, das man führte. Dass mein Ruf, Mein guter Ruf verloren ginge, war. Mir völlig gleich. Doch würd ich trostlos sein, Wenn des verlornen guten Rufes wegen Du weniger mich liebtest als zuvor. VERGEBENES WARTEN AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA Ich harre meiner Liebsten in der Nacht. Ich höre, wie die Glocke Stund um Stunde Ins Dunkel ruft. Abscheulich ist fürwahr Der Schrei des Hahns, wenn er die Liebenden, Die sich umarmen, auseinanderreisst. Doch er bedeutet nichts, verglichen mit Der fürchterlichen Qual, da man umsonst Mit wilder Sehnsucht auf die Liebste harrt! UM MIT DIR ZU LEBEN VOLKSLIED Um mit dir zu leben, die ich liebe, Wäre es mir recht, In ärmlicher Hütte zu hausen, Mich am Webstuhl zu mühen Oder am Spinnrad. Um mit dir zu leben, die ich liebe. Wäre es mir recht, Die Wäsche zu waschen Im fliessenden Fluss Oder das Gras in der Sonne zu schneiden. DER LIEBESLAUT KURTISANE SEGAWA Da traf ein Laut, ein zarter Liebeslaut, Der aus dem ersten Stockwerk kam, mein Ohr: Und das war süss und lieblich wie das Säuseln Der Frühlingsblumen, die um Mitternacht Am More-Flusse ihren Duft verstreun. DIE WEIDE IM WIND UNBEKANNTER DICHTER Die Sommerweide Zeigt ihren schlanken Stamm, Wenn der wehende Wind Durch ihre feinen Zweige fährt. Deine schlanken Füsse, meine Weide, Sah ich heute, Da der verliebte Wind Kosend durch deine Kleider fuhr. NACH DEM BADE UNBEKANNTER DICHTER Wenn sie dem Bad entsteigt, so flammt Ihr schönes Antlitz feurig auf, Dass sie dem roten Ahorn gleicht, Der herrlich durch den Herbsttag glänzt. BESCHRÄNKUNG AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA Ach, eng begrenzt ist der Besitz, den uns Das Schicksal schenkt. Zuerst geht unsre Sehnsucht Nach einem ragenden Gebirg. Sodann Scheint uns ein Berg genug,--dann gar ein Hügel, Und wird auch der uns nicht zuteil, so sind Zufrieden wir mit einem Blütenbusch. LEICHTES SPIEL UNBEKANNTER DICHTER Nichts leichter, als ein Mädchenherz Beim milden Duft der Pflaumenblüten Bis in die Tiefen zu betören Durch Liebessang und Flötenspiel! DIE MORGENGLOCKE SANDARA Wenn du, erbarmungslose Morgenglocke, Den Schmerz der Liebestrennung ahnen würdest. Du würdest nicht die wahre Stunde rufen Beim Morgengrauen,--sondern würdest gerne Bereit sein, lügnerisch die Zeit zu künden. TÄUSCHUNG YORIKITO Ich glaubte, dass die weissen Blüten Des Frühlings mir entgegentrieben. Ich irrte mich. Es war das Glänzen, Das Liebesglänzen deiner Schönheit. GELEITWORT ANMERKUNGEN ANORDNUNG GELEITWORT Die japanische Lyrik lässt sich gut mit den japanischen Tuschzeichnungen vergleichen: sie gibt, gleich jenen, mehr Andeutung als Ausführung, sie will in aller Kürze einen fest umrissenen Eindruck erreichen, sie hat einen vorwiegend impressionistischen Charakter. Wir finden in ihr, gerade wie in den japanischen Zeichnungen, vor allem die Liebe für das Zarte und Blütenhafte, für Frühling, Blumen und feinen Duft. Die einzelnen Persönlichkeiten treten in dieser lyrischen Kunst nicht stark hervor, im Gegensatz zur chinesischen. Japan ist das Land der Gelegenheitsdichter. Wir besitzen Gedichte von Kaisern und Kaiserinnen, Hofleuten, Gelehrten und Kurtisanen. Im zehnten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung war die Dichtkunst in Japan so verbreitet, dass sich der Kaiser Daïgo veranlasst sah, ein "Ministerium für poetische Angelegenheiten", wie wir heute sagen würden, einzusetzen. Ein solches Ministerium gibt es jetzt nicht mehr, aber die Freude an der Formung kleiner Gedichte ist in Japan noch heute allgemein. Seit alters her gibt es für das japanische lyrische Gedicht nur eine einzige, streng bewahrte, klassische Form: Tanka oder Uta genannt. Ein solches Tanka besteht immer aus einunddreissig Silben, die sich auf die fünf Zeilen des Gedichtes folgendermassen verteilen: 5-7-5-7-7. Das Tanka ist reimlos. Die japanische Sprache ist für den Reim nicht geschaffen, denn sämtliche Worte endigen auf einen der fünf Vokale a, e, i, o, u. Wollte man also reimen, so müsste man immer wieder zu den gleichen monotonen Reimen einfacher Vokale greifen, und das wäre auf die Dauer mehr grotesk als schön. Nein, die Aufgabe des japanischen Dichters ist es im Gegenteil, die einzelnen Zeilen seines Tanka möglichst auf verschiedene Vokale endigen zu lassen, um so eine möglichst grosse Reichhaltigkeit an Klängen zu erzielen. Die Regeln des Tanka wurden schon 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung durch Sosano-Ono-Mikoto, einen Dichter des heroischen Zeitalters, fixiert. Im Jahre 905 nach Christi Geburt wurden sie durch den Dichter Tsurayuki, den ersten Minister der Poesie unter Kaiser Daïgo, in der Vorrede zu jener berühmten ersten grossen Anthologie, welche sich Manyoshu nennt, befestigt. Diese Regeln wurden nie einer Veränderung unterworfen und sind heute genau dieselben wie vor 2600 Jahren. In alten Zeiten pflegte man auch mehrere Utas zu längeren Gedichten zusammenzusetzen (Naga-Uta). Seit dem sechzehnten Jahrhundert beschränkte man sich, besonders in Scherzgedichten, nicht selten auf die ersten drei Zeilen eines Uta, um Gedichte von besonders epigrammatischer Kürze zu bilden. Das sind die einzigen Varianten der alten Form,--wenn man von Formvarianten hier überhaupt sprechen kann. Die ausserordentliche Kürze des Uta oder Tanka hat ihre Nachteile. Die Dichter wollen möglichst viel in einem solchen Kurzgedicht ausdrücken und werden nicht selten dunkel durch übertriebene Kondensierung. Kommentatoren haben alte berühmte Tankas immer wieder ausgelegt, und über den Sinn so mancher Gedichte aus klassischer Zeit hat man sich bis heute nicht einig werden können. Die Blütezeit der japanischen Lyrik liegt weit zurück. Die erste klassische Epoche wird repräsentiert durch die schon erwähnte grosse Anthologie Manyoshu ("Sammlung der Myriaden Blätter"), die vermutlich durch den Sammeleifer des Dichters Yakamochi zusammengebracht und im Jahre 759 abgeschlossen wurde. Sie vereinigt in 20 Büchern 4500 Gedichte; aus der grossen Zahl der in ihr vertretenen Dichter ragen neben Yakamochi vor allem der Elegiker Hitomaro, der Landschafter Akahito und der Realist Okura hervor. Hitomaro gilt in Japan als der grösste Dichter der Nation. Man hat ihm Tempel errichtet, und sein Leben, von dem man wenig weiss, ist durch die Legende phantastisch ausgeschmückt worden. Es geht das Gerücht, ein Poet brauche nur Hitomaro anzurufen, um ein gutes Gedicht bilden zu können. Die Dichter der bald folgenden zweiten, "goldenen" klassischen Epoche sind uns in einer anderen, 1100 Gedichte umschliessenden Anthologie, im Kokinshu ("Sammlung alter und neuer Gedichte") erhalten, das im Auftrage des Kaisers Daïgo durch den Dichter Tsurayuki gesammelt und im Jahre 905 beendet wurde. Hier sind neben dem zarten Tsurayuki besonders der mannhafte Henjo und der schwermütige Prinz Narihira zu nennen, dessen hervorragende körperliche Schönheit noch heute sprichwörtlich in Japan ist. Manyoshu und Kokinshu sind die wichtigsten aller japanischen Anthologien, deren später, zumeist auf Veranlassung der Kaiser, noch viele hergestellt wurden. Auch die Lieder unseres Buches gehen zum grossen Teil auf jene beiden unerreichten klassischen Sammlungen zurück. Der Blüte folgte ein trostloser Verfall. Hundert Jahre etwa hielt sich die Dichtung noch auf einem würdigen Niveau, dann gelangte ein öder, pedantischer Formalismus zur Herrschaft und legte alle freien poetischen Regungen jahrhundertelang in Fesseln. Das Versemachen wurde als eine erlernbare Beschäftigung betrachtet, die man nach bestimmten starren Zunftgesetzen auszuüben hatte, wie es ja auch in Deutschland eine Zeitlang Sitte war. Auch in Japan wurden, genau wie bei uns, Sängerwettstreite (Uta-Awase) veranstaltet, die sich übrigens bis in die neueste Zeit erhalten haben und die eine allgemeine Veredelung der Poesie im Lande bezwecken sollten, während sie in Wirklichkeit gerade das Gegenteil zur Folge hatten. Sogar den Frauen wurden solche Sangeswettstreite eingeräumt, auf denen zumeist recht alberne Themata zu Utas poetisch "verarbeitet" wurden. Der Preis der Sieger bestand darin, dass ihre Poesien dem Kaiserpaare vorgelesen und zugleich mit den eigenen Gedichten des Kaisers oder der Kaiserin veröffentlicht wurden. Die eigentliche Entwickelung der japanischen Literatur seit der klassischen Zeit bis heute hat dem Roman und dem Drama gegolten, aber nicht der Lyrik. Motoori Norinaga, eine energische Kämpfernatur, die man etwa mit Lessing vergleichen kann, hat sich gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts leidenschaftlich bemüht, dem schrecklichen Formelwesen der japanischen Liederdichtung ein Ende zu bereiten; sein Streben war auch von einigen Erfolgen begleitet, aber eine wirkliche Blüte hat die japanische Lyrik bis heute nicht wieder zu erreichen vermocht, auch nicht durch jene von Europa beeinflussten revolutionären Versuche, dem Versbau neue Formen zu erschliessen, die von einigen kühnen Dichtern der letzten Zeit ausgegangen sind. Was die Nachdichtungen des vorliegenden Bandes angeht, so habe ich, obwohl ein Freund konzentrierten Ausdrucks, erst in zweiter Linie auf Knappheit der Form gehalten und vor allem der Klarheit und Durchsichtigkeit mich befleissigt. Hätte ich überall die Knappheit der Originale beibehalten wollen, so wäre ich oft gezwungen gewesen, den Gedichten erklärende Fussnoten beizugeben, und auf diese Weise wäre die Lektüre recht umständlich und überhaupt eine andere geworden, als ich mir für diese Verse wünschte. Mir lag daran, Gedichte zu bilden, die durch sich selbst einen poetischen Reiz ausüben sollten, und ich möchte hoffen, dass von der japanischen Farbe wenigstens so viel auf sie übergegangen ist, wie man bei derartigen Nachbildungen verlangen muss. Die Vorbilder für meine Nachdichtungen sind vor allem in der Geschichte der japanischen Literatur von Karl Florenz zu finden; auch die kleinen Bücher von Enderling, Hauser, Kurth und Lange habe ich verwertet. Hans Bethge ANMERKUNGEN Zur Aussprache: ch lautet wie tsch, j wie dsch, y wie deutsches j, sh wie sch; s ist scharfer dentaler Zischlaut (wie in Hast), z weicher dentaler Zischlaut (wie in Sohn): r ist Zungen-r.--Die Vokale sind kurz; ei lautet wie e. Seite 5. Fragment eines grösseren Gedichtes. Seite 7. Dies Gedicht steht an der Spitze der Sammlung Manyoshu. Seite 8. Muneto soll Aïnos zu Vorfahren gehabt haben. Er wurde deshalb von den Höflingen gehänselt und richtete dieses Gedicht an sie. Seite 13. Fragment eines längeren Gedichtes an den Prinzen Takechi. Seite 14. Ozi wurde, da er Ansprüche auf den Thron geltend machte, gefangen genommen und auf Befehl der Kaiserin Taizyo hingerichtet, im Alter von vierundzwanzig Jahren. Das "Trübe Lied" soll er im Angesicht des Todes gedichtet haben. Seite 16. Akahito steht in der Schätzung der Japaner gleich neben Hitomaro. Die beiden berühmten Dichter werden "die beiden Weisen" genannt. Seite 35. Naniwa, von je wichtig für die Schiffahrt, ist das jetzige Osaka. Seite 37, 38. Frau Onono Komachi war ebenso berühmt durch ihre Dichtungen wie durch ihre Schönheit und ihren Leichtsinn. Seite 49. Frau Ise war die Geliebte des Kaisers Uda, dem sie auch ins Exil folgte; sie soll nach dem Tode ihres Freundes im Elend gestorben sein. Seite 105. Das Yehon Chitoseyama, erschienen 1740, ist eine Sammlung didaktisch-moralischer Gedichte. ANORDNUNG CHRONOLOGISCH MOTOORI NORINAGA (1730-1801) Die Seele Japans. Als Motto AUS ARCHAISCHER ZEIT Die schöne Nuna-Kawa-Hime KAISERIN IWA NO HIME (4. Jahrhundert nach Chr.) Die Wartende KAISER YURYAKU (451-479 nach Chr.) Liebeswerbung MUNETO (7. Jahrhundert nach Chr.) Der Glückliche PRINZESSIN NUKADA (2. Hälfte des 7. Jahrhunderts) In Erwartung OKURA (etwa 660-733) Das Elend der Welt HITOMARO (etwa 662-709) Einsam Die Geliebte im Segelboot Kriegszug OZI (663-687) Trübes Lied KAISER MOMMU (697-707) An den Schnee AKAHITO (Mitte des 8. Jahrhunderts) Der Fuji-Yama Betrachtung MUSHIMARO Die Trauerweide EDELDAME ISHIKAWA (8. Jahrhundert) Der Mond KIBINO (gestorben 775) Frühlings Ende OKISHIMA (8. Jahrhundert) Frühlings Ende YAKAMOCHI (gestorben 785) In der Fremde Heimweh FUJIWARA NO HIROTSUGU Der Blütenzweig TABITO Der Freund des Weines UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung MANYOSHU (abgeschlossen im Jahre 759): Am Ufer Bitte an den Hund Der Teich Trennung Vertrauen Über die Heide Bangnis Die schöne Kurtisane Qualvolle Eifersucht Vergebenes Bemühen Wunsch FRAU KOMACHI (gestorben etwa 870) Die Träume Einsam HENJO (815-890) Das Lotusblatt Familienstolz PRINZ NARIHIRA (825-880) Schwermut Tagelied eines Mädchens Liebeskummer TOMONORI (845-905) Sehnsucht nach der Nachtigall Dauer im Wechsel Gleiche Sehnsucht OCHI (9. Jahrhundert) Die Wildgans OTOMO KURONUSHI (2. Hälfte des 9. Jahrhunderts) Frühlingsregen FRAU ISE (um 900) Betrachtung MITSUNE (859-907) Trübsinn Heute! An einen Freund TADAMINE (868-965) Erinnerung Frommer Wunsch Haltlos FUKAYOBU Das klagende Herz MASAZUMI Die allerersten Blüten KI NO ARITOMO Dauernde Erinnerung TSURAYUKI (882-946) Jubel Blüten und Herzen Schnee im Frühling Blütenschnee ATSUTADA (gestorben 943) Seitdem ich dich liebe Gesteigerte Sehnsucht UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung KOKINSHU (abgeschlossen im Jahre 905): Ankunft des Frühlings Liebe Das Alter Lieben und Sterben Das Mädchen auf der Brücke Liebesqualen Herbst Schatten Schnee Immer wieder Schlaflos Unerwiderte Liebe Sehnsüchtiger Gedanke Der duftende Ärmel KANEMORI (10. Jahrhundert) Das Kopfkissen Heimliche Liebe UNBEKANNTE KURTISANE Bei Betrachtung des Mondes OKI KASSI Unmöglichkeit TERANGE Schwermut SIGEYUKI Verzweiflung UNBEKANNTE DICHTERIN (10. Jahrhundert) Die Verlassene FRAU IZUMI SHIKIBU (um 1000) Noch einmal FRAU INNO BETTO (12. Jahrhundert) Dieselbe Nacht FRAU HORIKAWA (12. Jahrhundert) Erregung FUJIWARA NO TOSHINARI (1113-1204) Jammer der Erde SAIGYO (1118-1190) Gedanken Schwermut Vom Mond Abschied von den Blüten Blüten KIUTSUNE (13. Jahrhundert) Das Alter SONE NO YOSHITAKA Steuerlos SAKINO DAISOJO GYOSON An die Kirschenblüten PRINZ MUNENAGA (1312-1385) An die Wildgänse UNBEKANNTE DICHTERIN (16. Jahrhundert) Liebesbrief AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA (17. Jahrhundert) Vergebenes Warten VOLKSLIED Um mit dir zu leben KURTISANE SEGAWA (18. Jahrhundert) Der Liebeslaut UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) Die Weide im Wind UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) Nach dem Bade AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA (18. Jahrhundert) Beschränkung UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert) Leichtes Spiel SANDARA (18. Jahrhundert) Die Morgenglocke YORIKITO (19. Jahrhundert) Täuschung --- Provided by LoyalBooks.com ---