VON KINDERN UND KATZEN, UND WIE SIE DIE NINE BEGRUBEN von THEODOR STORM Mit Katzen ist es in frUeherer Zeit in unserem Hause sehr "begaenge" gewesen. Noch vor meiner Hochzeit wurde mir von einem alten Hofbesitzer ein kleines kaninchengraues Kaetzchen ins Haus gebracht; er nahm es sorgsam aus seinem zusammengeknuepften Schnupftuch, setzte es vor mir auf den Tisch und sagte: "Da bring ich was zur Aussteuer!" Diese Katze, welche einen weissen Kragen und vier weisse Pfoetchen hatte, hiess die "Manschettenmiesse". Waehrend ihrer Kindheit hatte ich sie oft, wenn ich arbeitete, vorn in meinem Schlafrock sitzen, so dass nur der kleine huebsche Kopf hervorguckte. Hoechst aufmerksam folgten ihre Augen meiner schreibenden Feder, die bei dem melodischen Spinnerlied des Kaetzchens gar munter hin und wider glitt. Oftmals, als wolle sie meinen gar zu grossen Eifer zuegeln, streckte sie wohl auch das Pfoetchen aus und hielt die Feder an, was mich dann stets bedenklich machte und wodurch mancher Gedankenstrich in meine nachher gedruckten Schriften gekommen ist. Die Manschettenmiesse selber ist, wie ich fuerchte, durch diesen Verkehr etwas gar zu gebildet geworden; denn da sie endlich gross und dann auch Mutter manches allerliebsten kaninchengrauen Kaetzchens geworden war, verlangte sie, gleich den feinen Damen, allezeit eine Amme fuer ihre Kinder; und da die Nachbarskatzen sich nur selten zu diesem Dienst verstehen wollten, so sind fast alle ihre kleinen Ebenbilder elendiglich zugrunde gegangen. Nur einen kleinen weissen Kater zog sie wirklich gross, welcher wegen seines grimmigen Aussehens "der weisse Baer" genannt wurde und nachher aber eine Katze war. Spaeter, da schon zwei kleine Buben lustig durch Haus und Garten tobten, waren zwei Katzen in der Wirtschaft; naemlich ausser den vorbenannten noch ein Sohn des weissen Baeren, genannt "der schwarze Kater", ein grosser ungebaerdiger Geselle; vielleicht ein Held, aber jedenfalls ein Scheusal, von dem nicht viel zu sagen, als dass er, besonders in der schoenen Fruehlingszeit, unter schauderhaftem Geheul gegen alle Nachbarskater zu Felde lag, dass er stets mit einem blutigen Auge und zerfetztem Fell umherlief und ausserdem noch seine kleinen Herren biss und kratzte. Von der Grossmutter, der Manschettenmiesse, die nachmals ganz beruehmt geworden ist, waere noch vielerlei zu berichten; da sie aber in der Geschichte, die ich hier am Schluss erzaehlen will, nur ein einzigmal "Miau" zu sagen hat, so soll's fuer eine schicklichere Gelegenheit verspart sein. Es geschah aber, dass unser mit drei Katzen also stattlich begruendetes Heimwesen durch den hereingebrochenen Daenenkrieg gar jaemmerlich zugrunde ging; meine beiden Knaben und noch ein kleiner dritter, der hinzugekommen war, mussten mit mir und ihrer Mutter in die Fremde wandern, und, so gastlich man uns draussen aufnahm, es war doch in den ersten Jahren eine truebe, katzenlose Zeit. Zwar hatten wir ein Kindermaedchen, welches Anna hiess; ihr gutes rundes Gesicht sah allzeit aus, als waere sie eben vom Torfabladen hergekommen, weshalb die Kinder sie die "schwarze Anna" nannten; aber eine Katze in unser gemietetes Haus zu nehmen, konnten wir noch immer nicht den Mut gewinnen. Da--drei Jahre waren so vergangen--kam von selber eine zugelaufen, ein weiss und schwarz geflecktes Tierchen, schon wohlerzogen und von anschmiegsamer Gemuetsart. Was ist von diesem Kaeterchen zu sagen?--Zum mindesten der Pyramidenritt. Da naemlich den beiden groesseren Buben das gewoehnliche Zubettegehen doch gar zu simpel war, so hatten sie's erfunden, auf der schwarzen Anna zu Bett zu reiten; derart, dass sie dabei auf ihrer Schulter sassen und die kleinen Kinderbeinchen vorn herunterbaumelten. Jetzt aber wurde das um vieles stattlicher; denn eines Abends, da sich die Tuer der Schlafkammer oeffnete, kam in das Wohnzimmer zum Gutenachtsagen eine vollstaendige Pyramide hereingeritten: ueber dem grossen Kopf der schwarzen Anna der kleinere des lachenden Jungen, ueber diesem dann der noch viel kleinere Kopf des Kaeterchens, das sich ruhig bei den Vorderpfoetchen halten und dabei ein gar behaglich und vernehmbares Spinnen ausgehen liess.--Dreimal ritt diese Pyramide die Runde in der Stube und dann zu Bett. Es war sehr huebsch; aber es wurde der Tod des kleinen Katers. Die guten Stunden, die er nach solchem Ritt zur Belohnung im Federbett bei seinem jungen Freunde zubringen durfte, hatten ihn so verwoehnt, dass er eines scharfen Wintermorgens, da er am Abend ausgeschlossen worden, tot und steifgefroren im Waschhause aufgefunden wurde. Und wieder kam eine stille, katzenlose Zeit. Aber wo faende sich nicht eine Aushilfe! Ich konnte ja vortrefflich Katzen zeichnen;--und ich zeichnete! Freilich nur mit Feder und Tinte; aber sie wurden ausgeschnitten und aus dem Tuschkasten sauber angemalt: Katzen von allen Farben und Arten, sitzende und springende, auf vieren und auf zweien gehend, Katzen mit einer Maus im Maule und einem Milchtopf in der Pfote, Katzen mit Kaetzchen auf dem Arme und einem bunten Voeglein in der Tatze; den Preis ueber alle aber gewann ein wuerdig blickender grauer Kater mit rauhem, baertigem Antlitz. Ihm wurde in einer Kammer, wo die Kinder spielten, aus Bauholz ein eigenes Haus mit Wohn- und Staatsgemaechern aufgebaut. Viel Zeit und Muehe war darauf verwandt worden; deshalb erhielt es aber auch das Vorrecht, vor dem zerstoerenden Eulbesen der Koechin durch strenges Verbot geschuetzt zu werden. Es hiess "das Hotel zur schwarzen Anna"; und "der alte Herr", welchen Namen der Graue sich gar bald erworben hatte, hat lange darin gewohnt. Selten nur verliess er seine angenehmen Raeume; desto lieber, da es ihm an Dienerschaft nicht fehlte, versammelte er bei sich die Gesellschaft seiner Freunde und Freundinnen. Dann ging es hoch her; wir haben oft durchs Fenster geguckt. Fetter Rahm in Tassenschaelchen, Bratwuerstchen und gebratene Lerchen wurden immer aufgetragen; den Ehrenplatz zur Rechten des Gastgebers aber hatte allzeit ein allerliebstes weisses Kaetzchen mit einem roten Baendchen um den Hals; ob es eine Verwandte oder gar die Tochter desselben gewesen, haben wir nicht erfahren koennen. Ausser solchen Festen lebte uebrigens der alte Herr still fuer sich weg; nur manchmal liebte er es, aus seinem Hause auf die Spiele der Kinder in der Kammer hinabzublicken, wozu er die bequemste Gelegenheit hatte, da das Hotel "Zur schwarzen Anna" auf einer Fensterbank erbaut war. Dann stiess wohl eins der Kinder das andre an und fluesterte: "Seht, seht! Der alte Herr steht wieder einmal am Fenster!" Auch seinen Geburtstag sollte er noch erleben. Zu diesem Feste, an welchem alle Kater und Katzen sich zur Gratulation versammeln sollten, bekam ich den Auftrag, sein Brustbild in Lebensgroesse zu malen, was dann auch wirklich am Morgen des Festtages, in einen breiten Goldrahmen gefasst, im Saale des Hotels aufgehangen wurde. Aber es nimmt alles einmal ein Ende.--Da wir eines Morgens aufgestanden waren, fanden wir ihn tot in seinem Bette. Ob er bei dem letzten leckeren Mahle sich zu viel getan, ob die ihm zugemessene Lebensdauer abgelaufen war;--soviel steht fest, was wir hier vor uns sahen, war nur noch seine entseelte Huelle. Also wurde ein Schaechtelchen mit schwarzem Papier beklebt und ausgeschlagen und so ein Sarg daraus gemacht. Der alte Herr wurde hineingelegt und stand zur Parade in dem grossen Saale des Hotels, wo von der Wand sein noch in aller Lebensfuelle gemaltes Bildnis auf den Sarg herabsah. Endlich wurde er auf dem Steinhofe--ach, einen Garten hatten wir da draussen nicht!--in das fuer ihn gegrabene Grab gesenkt und mit einem schweren Steine fest und dauerhaft bedeckt.--Aber wer moechte nicht gern wissen, wie die Toten aussehen.--Natuerlich wurde der alte Herr nach einem halben Jahr wieder ausgegraben, sehr mit Schimmel ueberzogen vorgefunden, schaudernd und ganz genau betrachtet und dann endlich noch einmal und auch zum allerletzten Mal begraben. Fuer Kinder und alte Leute, welch ein erloesender Zauber liegt in dem Begraben! In der Heimat zur Zeit der Manschettenmiesse, als die zwei aeltesten Knaben ihre ersten Kittel noch nicht ausgetragen hatten, als sie fuer den grossen Garten, der am Hause war, mit eignem "Schmierzeug" noch versehen waren--in jener gluecklichen Zeit gab es ausser Katzen auch noch andres Getier im Hause. Da war ein kleiner weisser Pudel, welcher "Bube" hiess, aber leider trotz des Tierarztes schon frueh an einer Hunde-Kinderkrankheit sterben musste; dann war ein weisses Kaninchen, welches "Nine" hiess, und ausserdem noch eine weisse Taube, welche keinen Namen hatte, sonst aber sehr wohl "Federlos" haette heissen koennen. In dem geraeumigen Taubenschlage auf dem Hausboden hatte sie einst mit vielen schoenen Gefaehrten, Hahnenschwaenzen und Mohrenkoepfen, gewohnt und sich von dort aus lustig mit ihnen ueber den gruenen Gaerten in der Luft getummelt; aber eines Nachts war der Marder eingebrochen, und sie allein blieb die Ueberlebende. Damit sie in dem grossen leeren Schlage nicht allzusehr die Einsamkeit empfinde, wurde das Kaninchen ihr zum Gesellen beigegeben, und da weder dieses von ihren Erbsen, noch sie die Hundeblumenblaetter des Kaninchens begehrte, so lebten sie wie Geschwister eintraechtiglich beisammen. Wenn die Taube von ihren Ausfluegen heimkam, klappte Nine allzeit freudig mit den Hinterkaeufen; denn sie spielten dann Greif oder Haschemaennchen miteinander, und da das Kaninchen sehr gut greifen konnte, so geschah es dabei ganz von selber, dass es seiner Freundin einen Mund voll Federn nach dem andern abbiss.--So wurde sie das Taeubchen "Federlos" und konnte nur noch mit den Posen fliegen. Aber weiter kam es nicht; die Posen sollte sie behalten. Denn da die Knaben eines Morgens in den Schalg hinanstiegen, flatterte das Taeubchen Federlos zwar noch um sie herum, Nine aber lag mit ausgestreckten vieren tot und platt am Boden. Eilig stuermten sie die Treppen hinab und verkuendeten im Wohnzimmer ihre Trauerkunde, wo ich ahnungslos bei meiner Tasse Tee sass. Wahrscheinlich hatte Nine sich an Taubenfedern totgegessen; indessen ich bedachte solches nicht und sagte ohne viele Umstaende: "Da habt ihr's wohl verhungern lassen!" Ob das Gewissen der beiden dennoch nicht ganz rein gewesen?--Aber--hilf Himmel! wie huben auf dieses Wort die kleinen Kerle an zu schreien! Kein Trost, kein Zuspruch half, die Traenen liefen ihnen stromweis ueber die Backen. Da trat mein Freund, der Doktor--der als Primaner einst so schoen die Klarinette spielte--in die Tuer. "Hallo! Junges, was ist da los?" Die Augen wandten sich zu dem Sprecher, und einen Augenblick lang stockte das Geheul. "Doktor", rief der eine im wehmuetigsten Klagelaut, "unser Nine ist tot!" "Und wir haben es verhungern lassen!" schrie der andre.--Dann heulten sie beide wieder mit vereinten Kraeften. "Jungens!" rief der Doktor. "Euer Nine wird nicht mehr lebendig! Aber wisst ihr denn das nicht? Wenn es tot ist, so muesst ihr es begraben!" Begraben!--Das Zauberwort war gesprochen. Das Geschrei verstummte, die Traenen wurden abgewischt, ein wahres Sonnenleuchten verklaerte die Gesichter der beiden Kinder.--Schon waren sie aus dem Zimmer und die Bodentreppe hinauf; und nicht lange, so kamen sie froehlichen Angesichts mit dem Leichnam ihres Nine angezogen; der eine hatte es an den Ohren, der andre an den Hinterlaeufen. So zogen wir mitsammen in den Garten hinaus. Als wir auf dem grossen Steige waren, begegnete uns die Manschettenmiesse. "Miau!" sagte sie, indem sie stehenblieb und uns ansah. Der Zug hielt; und die Kinder sahen sie wieder an. "Mite", sagte der Kleine, noch einmal in seinen Klageton verfallend, "unser Nine ist tot!" Dann setzte der Zug sich wieder in Bewegung, und Mite machte einen Buckel und sprang mit, um dem Begraebnis beizuwohnen. Der Doktor hatte schon den Spaten in der Hand, und an der Geissblattlaube unter ueberhaengenden Ulmenzweigen wurde nach reiflicher Erwaegung die Staette auserwaehlt. Da wurde ich von der Magd ins Haus zurueckgerufen und ueberliess dem Doktor allein die Leitung unsrer Trauerfeierlichkeit. Drinnen im Hause erwarteten mich ganz andre Dinge. Da war ein Mann, der hatte einen boesen Schuldner, von dem er weder Kapital noch Zinsen erhalten konnte, und wir sprachen wohl eine halbe Stunde miteinander, auf welche Weise ihm zu beidem zu verhelfen sei. Als ich dann wieder in den Garten hinauskam, war der Doktor nicht mehr da; auch der Koerper des verstorbenen Nine war verschwunden, und der Spaten lehnte an der Planke. Die beiden kleinen Totengraeber aber--die natuerlich ihr Schmierzeug anhatten--lagen neben der Geissblattlaube auf den Knien und hatten einen kleinen seltsam glaenzenden Erdhuegel zwischen sich, auf dem sie beide eifrig mit ihren rotkarierten Taschentuechern rieben. "Was macht ihr da?" fragte ich, indem ich zu ihnen trat; denn diese Sache war mir voellig unverstaendlich. Da guckte der Kleine auf. "Papa!" sagte er, und sein Gesicht leuchtete so froehlich wie droben kaum die liebe Himmelssonne--"wir polieren Nine sein Grab mit Spucke!"--Und also endete dies vergnuegliche Begraebnis. --- Provided by LoyalBooks.com ---