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Gehirne Novellen By: Gottfried Benn (1886-1956) |
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Novellen
von
Gottfried Benn
Leipzig
Kurt Wolff Verlag
1916 Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig R.
Oktober 1916 als fünfunddreißigster Band
der Bücherei »Der jüngste Tag«
Copyright 1916 by Kurt Wolff Verlag · Leipzig
Inhalt
Gehirne
Die Eroberung
Die Reise
Die Insel
Der Geburtstag
Gehirne
Rönne, ein junger Arzt, der früher viel seziert hatte, fuhr durch
Süddeutschland dem Norden zu. Er hatte die letzten Monate tatenlos
verbracht; er war zwei Jahre lang an einem pathologischen Institut
angestellt gewesen, das bedeutet, es waren ungefähr zweitausend Leichen
ohne Besinnen durch seine Hände gegangen, und das hatte ihn in einer
merkwürdigen und ungeklärten Weise erschöpft. Jetzt saß er auf einem Eckplatz und sah in die Fahrt: es geht also durch
Weinland, besprach er sich, ziemlich flaches, vorbei an Scharlachfeldern,
die rauchen von Mohn. Es ist nicht allzu heiß; ein Blau flutet durch den
Himmel, feucht und aufgeweht von Ufern; an Rosen ist jedes Haus gelehnt,
und manches ganz versunken. Ich will mir ein Buch kaufen und einen Stift;
ich will mir jetzt möglichst vieles aufschreiben, damit nicht alles so
herunterfließt. So viele Jahre lebte ich, und alles ist versunken. Als ich
anfing, blieb es bei mir? Ich weiß es nicht mehr. Dann lagen in vielen Tunneln die Augen auf dem Sprung, das Licht wieder
aufzufangen; Männer arbeiteten im Heu, Brücken aus Holz, Brücken aus Stein;
eine Stadt und ein Wagen über Berge vor ein Haus. Veranden, Hallen und Remisen, auf der Höhe eines Gebirges, in einen Wald
gebaut hier wollte Rönne den Chefarzt ein paar Wochen vertreten. Das
Leben ist so allmächtig, dachte er, diese Hand wird es nicht unterwühlen
können, und sah seine Rechte an. Im Gelände war niemand außer Angestellten und Kranken; die Anstalt lag
hoch; Rönne war feierlich zu Mute; umleuchtet von seiner Einsamkeit
besprach er mit den Schwestern die dienstlichen Angelegenheiten fern und
kühl. Er überließ ihnen alles zu tun: das Herumdrehen der Hebel, das Befestigen
der Lampen, den Antrieb der Motore, mit einem Spiegel dies und jenes zu
beleuchten es tat ihm wohl, die Wissenschaft in eine Reihe von
Handgriffen aufgelöst zu sehen, die gröberen eines Schmiedes, die feineren
eines Uhrmachers wert. Dann nahm er selber seine Hände, führte sie über die
Röntgenröhre, verschob das Quecksilber der Quarzlampe, erweiterte oder
verengte einen Spalt, durch den Licht auf einen Rücken fiel, schob einen
Trichter in ein Ohr, nahm Watte und ließ sie im Gehörgang liegen und
vertiefte sich in die Folgen dieser Verrichtung bei dem Inhaber des Ohrs:
wie sich Vorstellungen bildeten von Helfer, Heilung, guter Arzt von
allgemeinem Zutrauen und Weltfreude, und wie sich die Entfernung von
Flüssigkeiten in das Seelische verwob. Dann kam ein Unfall und er nahm ein
Holzbrettchen mit Watte gepolstert, schob es unter den verletzten Finger,
wickelte eine Stärkebinde herum und überdachte, wie dieser Finger durch den
Sprung über einen Graben oder eine übersehene Wurzel, durch einen Übermut
oder einen Leichtsinn, kurz, in wie tiefem Zusammenhange mit dem Lauf und
dem Schicksal dieses Lebens er gebrochen schien, während er ihn jetzt
versorgen mußte wie einen Fernen und Entlaufenen, und er horchte in die
Tiefe, wie in dem Augenblick, wo der Schmerz einsetzte, eine fernere Stimme
sich vernehmen ließe. Es war in der Anstalt üblich, die Aussichtslosen unter Verschleierung
dieses Tatbestandes in ihre Familien zu entlassen wegen der Schreibereien
und des Schmutzes, den der Tod mit sich bringt. Auf einen solchen trat
Rönne zu, besah ihn sich: die künstliche Öffnung auf der Vorderseite, den
durchgelegenen Rücken, dazwischen etwas mürbes Fleisch; beglückwünschte ihn
zu der gelungenen Kur und sah ihm nach, wie er von dannen trottete. Er wird
nun nach Hause gehen, dachte Rönne, die Schmerzen als eine lästige
Begleiterscheinung der Genesung empfinden, unter den Begriff der Erneuerung
treten, den Sohn anweisen, die Tochter heranbilden, den Bürger hochhalten,
die Allgemeinvorstellung des Nachbars auf sich nehmen, bis die Nacht kommt
mit dem Blut im Hals... Continue reading book >>
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