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Memoiren einer Sozialistin Lehrjahre By: Lily Braun (1865-1916) |
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Lehrjahre
Roman von Lily Braun Albert Langen, München 1909
An meinen Sohn
Die Rosen blühen und die Linden duften. Über dunkle Wälder und saftgrüne
Matten ragen die Berge meiner Heimat zum Himmel empor, an dem die Sterne
funkeln und strahlen, ungetrübt von den Dünsten der Städte und den
Nebeln der Niederung. Die grauen Felsriesen schimmern silbern im
Mondlicht, und in ihren tausend Furchen und Spalten glänzt noch der
Schnee. Das ist die schönste Nacht des Jahres, die Nacht, in der's in Wald und
Feld von alten Märchen raunt und flüstert, die Nacht, mein Sohn, die
dich mir geschenkt: ein Sonnwendskind, ein Sonntagskind. Elf Jahre sind
es heute. Ist es mir doch, als wäre es erst gestern gewesen, daß du an
meiner Brust gelegen, daß du die ersten Worte lautest, zum erstenmal die
Füßchen setztest. Und nun bist du ein großer Junge! Die Kindheit
bereitet sich aufs Abschiednehmen vor. Fast am gleichen Tage war es, und mehr als drei Jahrzehnte sind es her,
daß auch ich zu Füßen dieser Berge meinen elften Geburtstag feierte. Die
Tafel bog sich damals unter der Fülle der Geschenke auf deinem Tisch,
mein Sohn, lagen heute neben dem duftenden Kuchen unsrer alten Marie nur
ein paar Bücher! , und Eltern, Verwandte und Freunde umgaben mich,
mit schäumendem Sekt und schmeichelnden Reden das Geburtstagskind
feiernd, wir dagegen waren heute allein und hatten nur tiroler
Landwein in den Gläsern. Das Geburtstagskind von damals war ein blasses,
langaufgeschossenes Mädchen mit einem alten, hochmütig sarkastischen Zug
um den Mund, dessen Lächeln der Dankbarkeit nur die Frucht guter
Erziehung war; du aber bist ein blühender Knabe, der im Überschwang
seiner Freude seine Mutter und die alte Marie abwechselnd in tollem Tanz
auf der Wiese umherwirbelte. Nur zweierlei ist sich gleich geblieben
damals und heute : auf deinem Tisch wie auf dem meinen lag das erste,
langersehnte Tagebuch, dessen weiße Blätter so verlockend sind für ein
elfjähriges Herz, wie der Eingang ins Zauberreich des Lebens selbst, und
vor dir wie vor mir ragten dieselben Bergesriesen, und derselbe Wald
umrauschte unsre Kinderträume. Mich hat mein Tagebuch durch's ganze Leben begleitet, und der
Gewohnheit, mir allabendlich vor ihm Rechenschaft abzulegen über des
Tages Soll und Haben, bin ich immer treu geblieben. Am Schlusse jeden
Jahres habe ich an seiner Hand den verflossenen Lebensabschnitt überlegt
und sein Fazit gezogen. Seine lakonischen Bemerkungen ein bloßes
trockenes Tatsachenmaterial bildeten den festen Rahmen, den die
Erinnerung mit den bunten Bildern des Lebens füllte, und unverzerrt
durch jene schlechtesten Porträtisten der Welt Haß oder Bewunderung
, blickte mein Ich mir daraus entgegen. Als ich diesmal aus der Tretmühle und der Fabrikatmosphäre meines
Berliner Arbeitslebens in unsre stille Bergeinsamkeit floh, nahm ich die
zweiunddreißig Jahreshefte meines Tagebuches mit mir. Generalabrechnung
muß ich halten. Auf steilem Felsenpfad bin ich bis hierher gestiegen, meinem wegkundigen
Blick, meiner Kraft vertrauend, weit entfernt von den Lebenssphären, die
Tradition und Sitte mit Wegweisern versah, damit auch der Gedankenlose
nicht irre gehe. Jetzt aber muß ich stille stehen, muß Atem schöpfen,
denn die große Einsamkeit um mich her läßt mich schaudern. Wohin nun?
Hinab zu Tal, zu den Wegweisern? Oder weiter auf selbstgewähltem Steige? Die Menschen zürnen mir, und alle nennen mich fahnenflüchtig, die
irgendwann auf der Lebensreise ein Stück Weges mit mir gingen; mir aber
erscheinen sie als die Ungetreuen. Wer hat recht von uns: sie oder ich?
Um die Antwort zu finden, will ich den letzten Wurzeln meines Daseins
nachspüren, wie seinen äußersten Verästelungen; und an dich, mein Sohn,
will ich denken dabei, auf daß du, zum Manne gereift, deine Mutter
verstehen mögest. In der Sonnwendnacht, die dich mir geschenkt, in der Sonnwendnacht, in
der ringsum auf den Höhen die Feuer glühen, in der Sonnwendnacht, wo
aufersteht, was ewigen Lebens würdig war, seien die Geister der
Vergangenheit zuerst heraufbeschworen... Continue reading book >>
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