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In deutscher Bearbeitung von Hermann Hauff. Nach der Anordnung und unter Mitwirkung des Verfassers.
Einzige von A. v. Humboldt anerkannte Ausgabe in deutscher Sprache.
1859
Zweiter Band
INHALT
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Liste explizit genannter Werke
Anmerkungen des Korrekturlesers
NEUNTES KAPITEL.
Körperbeschaffenheit und Sitten der Chaymas. Ihre Sprachen.
Der Beschreibung unserer Reise nach den Missionen am Caripe wollte ich
keine allgemeinen Betrachtungen über die Stämme der Eingeborenen, welche
Neu Andalusien bewohnen, über ihre Sitten, ihre Sprache und ihren
gemeinsamen Ursprung einflechten. Jetzt, da wir wieder am Orte sind, von
dem wir ausgegangen, möchte ich alles dieß, das für die Geschichte des
Menschengeschlechts von so großer Bedeutung ist, unter Einem Gesichtspunkt
zusammenfassen. Je weiter wir von jetzt an ins Binnenland eindringen,
desto mehr wird uns das Interesse für diese Gegenstände, den Erscheinungen
der physischen Natur gegenüber, in Anspruch nehmen. Der nordöstliche Theil
des tropischen Amerikas, Terra Firma und die Ufer des Orinoco, gleichen
hinsichtlich der Mannigfaltigkeit der Völkerschaften, die sie bewohnen,
den Thälern des Caucasus, den Bergen des Hindoukho, dem nördlichen Ende
Asiens jenseits der Tungusen und Tartaren, die an der Mündung des Lena
hausen. Die Barbarei, die in diesen verschiedenen Landstrichen herrscht,
ist vielleicht nicht sowohl der Ausdruck ursprünglicher völliger
Culturlosigkeit, als vielmehr die Folge langer Versunkenheit. Die meisten
der Horden, die wir Wilde nennen, stammen wahrscheinlich von Völkern, die
einst auf bedeutend höherer Culturstufe standen, und wie soll man ein
Stehenbleiben im Kindesalter der Menschheit (wenn ein solches überhaupt
vorkommt) vom Zustand sittlichen Verfalls unterscheiden, in dem
Vereinzelung, die Noth des Lebens, gezwungene Wanderungen, oder ein
grausames Klima jede Spur von Cultur ausgetilgt haben? Wenn Alles, was
sich auf die ursprünglichen Zustände des Menschen und auf die älteste
Bevölkerung eines Festlandes bezieht, an und für sich der Geschichte
angehörte, so würden wir uns auf die indischen Sagen berufen, auf die
Ansicht, die in den Gesetzen Menus und im Ramajan so oft ausgesprochen
wird, nach der die Wilden aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßene,
in die Wälder getriebene Stämme sind. Das Wort 'Barbar' , das wir von
Griechen und Römern angenommen, ist vielleicht nur der Name einer solchen
versunkenen Horde.
Zu Anfang der Eroberung Amerikas bestanden große gesellschaftliche Vereine
unter den Eingeborenen nur auf dem Rücken der Cordilleren und auf den
Asien gegenüber liegenden Küsten. Auf den mit Wald bedeckten, von Flüssen
durchschnittenen Ebenen, auf den endlosen Savanen, die sich ostwärts
ausbreiten und den Horizont begrenzen, traf man nur umherziehende
Völkerschaften, getrennt durch Verschiedenheit der Sprache und der Sitten,
zerstreut gleich den Trümmern eines Schiffbruchs. Wir wollen versuchen, ob
uns in Ermangelung aller andern Denkmale die Verwandtschaft der Sprachen
und die Beobachtung der Körperbildung dazu dienen können, die
verschiedenen Stämme zu gruppiren, die Spuren ihrer weiten Wanderungen zu
verfolgen und ein paar jener Familienzüge aufzufinden, durch die sich die
ursprüngliche Einheit unseres Geschlechtes verräth.
Die Eingeborenen oder Ureinwohner bilden in den Ländern, deren Gebirge wir
vor Kurzem durchwandert, in den beiden Provinzen Cumana und Nueva
Barcelona, beinahe noch die Hälfte der schwachen Bevölkerung. Ihre
Kopfzahl läßt sich auf 60,000 schätzen, wovon 24,000 auf Neu Andalusien
kommen. Diese Zahl ist bedeutend gegenüber der Stärke der Jägervölker in
Nordamerika; sie erscheint klein, wenn man die Theile von Neuspanien
dagegen hält, wo seit mehr als acht Jahrhunderten der Ackerbau besteht,
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